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# 45 (21. April 2002)
I
am what I am Fachsimpel im Fernsehen
Eine der schönsten Stilblüten des Fernsehens ist der
sogenannte Experten-O-Ton. Zur Vertiefung
eines 1:20 min-Berichts in Tagesschau, heute
journal oder RTL Aktuell sieht man
zumeist studierte Leute, am besten versehen mit einer im
Insert verwendbaren institutionellen Position wie
Professor am Institut für Diesunddas, Vorsitzender des
Vereins Soundso oder Geschäftsführer des Unternehmens
Ixüpsilon. Nur im absoluten Notfall gehen auch
Journalisten oder Buchautoren, aber gottseidank gibt es
genügend mit akademischer Petersilie geschmückte
Existenzen, die man eben wegen dieses Schmucks für den
Bericht verwenden kann. Allerdings ist das Ergebnis
äußerst irritierend. Das Maß an Irrelevanz und
Plumpheit der Aussagen würde man nämlich noch nicht
einmal dem berühmten Mann von der Straße zutrauen.
Nehmen wir ein typisches Beispiel. Da hat ein
Fernsehsender für einen unmoralisch hohen Geldbetrag die
Ausstrahlungsrechte an einem populären
Science-Fiction-Film erworben. Um die Zuschauerzahlen in
die Höhe zu treiben und dadurch das Geld einigermaßen
wieder reinzukriegen, wird im Vorfeld nicht nur Werbung
für den Sendetermin gemacht, sondern es werden auch
formell nicht damit zusammenhängende seriöse Berichte
in den Magazinen und Nachrichten des Senders gemacht. Das
hat dann so dringende Anlässe wie Heute vor 102
Jahren wurde der Filmtrick erfunden oder Heute
ist der 86. Todestags des Kameramanns des ersten
Science-Fiction-Films oder 57 Jahre
Digitaltechnik und wie sie die Künste verändert hat.
Neben einem Zusammenschnitt von PR-Material des
Verleihers, der eben jenen Film angeboten hat, den man
bald ausstrahlen wird, mit skurrilen, immer wieder
gezeigten Archivbildern, hat man dann auch einen Experten
ausgegraben, seines Zeichens wissenschaftlicher Assistent
am Filminstitut der Universität Schaumburg-Lippe und
Herausgeber einer Materialiensammlung zur Filmtechnik der
späten 50er Jahre.
In der ersten Einstellung fällt hauptsächlich seine
Erscheinung auf. Er sitzt natürlich vor einem Computer,
auf dem entweder ein Star Wars-Bildschirmschoner
flackert oder ein Worddokument auf seine Fertigstellung
wartet, je nach Seriositätsbedürfnis des
verantwortlichen Redakteurs. Im Hintergrund verschwimmt
die für jeden Experten unvermeidliche Bücherwand zu
einem undeutlichen, dekorativen Zeichen für
Vergeistigung, während im Vordergrund ein Stapel von
Filmrollendosen jede sinnvolle Arbeit an dem Schreibtisch
erschweren würde, sich als funkelnder Signifikant für
Cineastentum und technisches Interesse im Kameralicht
allerdings sehr gut macht. Und der Experte selbst trägt
das für Akademiker unvermeidlich lockere
Jackett, dieses braune oder blaue Cord- oder Leinending,
das an den Ärmeln etwas abgescheuert und ausgebeult ist,
am besten noch mit einem gefalteten Stapel Papier in der
Seitentasche.
Hier lebt jemand nur für sein Wissen, hier ist jemand
vom Geist eines Untersuchungsgegenstandes so übernommen
worden, daß es schwer vorstellbar ist, daß er eine
normale gesellschaftliche Existenz führt. Er ist völlig
anders als wir, deshalb weiß er auch völlig andere
Sachen und kann sie von einer anderen Ebene aus
betrachten. Verfassungsrechtler oder
Betriebswirtschaftsprofessoren sehen natürlich,
abgesehen von der Bücherwand im Hintergrund, ganz
anderes aus, sie haben einen dunklen Anzug und eine
Krawatte und statt des Papiers an der Seite steckt bei
ihnen ein Montblanc-Kuli in der Brusttasche. Denn ihr
Gegenstand verlangt eben eine ihm angepaßte Erscheinung,
da sind wir als Zuschauer recht wählerisch. Doch zurück
zu unserem filmwissenschaftlichen Experten. Erst bei der
zweiten Einstellung auf ihn, machen wir uns Gedanken
darüber, was er eigentlich zu sagen hat. Wenn
überhaupt. Denn seine Aussagen flutschen so gefällig
durch die insgesamte Belanglosigkeit des Berichts, daß
man sie kaum davon differenzieren kann. Beim ersten Mal,
so glauben wir uns zu erinnern, hat er gesagt: Heutzutage
kommt kaum noch ein Film ohne Spezialeffekte aus.
Ein schöner Satz, der statuarisch daherkommt und uns ein
neues Paradigma zu verkünden scheint. Nur so richtig
überzeugen will er uns nicht, haben wir doch selbst Star
Wars, Terminator 2 und Independence
Day gesehen und auf Parties über ihre Effekte
gefachsimpelt. Deshalb hören wir beim zweiten Mal
genauer hin und bekommen verkündet: Bei vielen
Filmen sind die Ausgaben für Spezialeffekte inzwischen
der größte Posten des Budgets, noch vor denen für die
Hauptdarsteller. Eine Erkenntnis, die uns zuletzt
während der monatelangen Vorberichterstattung zur Titanic-Premiere
in die Gehirne gehämmert wurde und die uns am Sinn von
staatlichen Einrichtungen wie dem Institut für
Filmwissenschaft der Universität Schaumburg-Lippe
zweifeln lassen könnte. Wenn das die
Forschungsergebnisse von gutbezahlten Beamten sind, dann
könnte man auch die Volkshochschulen zu Universitäten
erklären und so die Haushalte der Kultusministerien
sanieren.
So simpel darf man dieses Simple allerdings nicht
verstehen. Denn das, was die Experten dort im Fernsehen
sagen, ist nicht das, was sie vor der Kamera gesagt
haben. Sie sind zwar nicht falsch wiedergegeben worden,
etwa, indem man 12 Wörter aus verschiedenen Sätzen zu
einem neuen montiert und das Ganze dann computertechnisch
geglättet hätte. Aber sie haben viel mehr und ganz
anderes gesagt, als das, was seinen Eingang in den
Beitrag gefunden hat. Den Satz Heutzutage kommt
kaum noch ein Film ohne Spezialeffekte aus hat
unser Experte nämlich noch durch die Nachsätze ergänzt
Das weiß heute jedes Kind und das muß man nicht
extra erwähnen. Viel interessanter wäre es, sich
Gedanken darüber zu machen, ob sich die Welten
verändert haben, in denen Filme heutzutage spielen, oder
ob es einfach nur eine andere Art der Erzeugung von
Vorstellungen ist, die schon seit Jahrhunderten in der
einen oder anderen Weise aufgetaucht sind. Das
hätte uns als Zuschauer wirklich interessiert, zumal der
Experte dann auch zehn Minuten über dieses Thema geredet
hat und dabei auf Ovids Metamorphosen, Carrolls Alice
im Wunderland, Max Frischs Stiller und
Wachowskis Matrix eingegangen ist. Und auch die
Filmrollen sind gar nicht seine, sondern wurden vom Team
mitgebracht, das ihn gleichzeitig auch gebeten hat, statt
des Sweatshirts doch bitte dieses Jackett anzuziehen,
daß sie im Flur gesehen hätten und daß er eigentlich
nur zur Gartenarbeit anzieht.
Die verantwortlichen Redakteure waren aber nicht auf ein
neues, überraschendes Statement aus, das die Zuschauer
aus ihrem Dämmerzustand reißen würde und zu einem
Reflexzucken auf der Fernbedienung hätte hinreißen
können. Sondern sie folgten duldsam dem alten
tautologischen Gesetz der Fernsehdemokratie: Wenn ich
denke, daß ich das auch gekonnt hätte, dann bin ich
zufrieden und will außer Fernsehen nichts mehr können
wollen. Das wurde in dieser Kolumne ja schon mal
angesichts der Off-Stimmen bei Parlamentsdebatten
erörtert. Und je mehr ein Experte so aussieht, wie ich
mir einen Experten vorstelle, desto weniger muß ich mich
mit dem einzelnen Menschen und seinen mir unvertrauten
Ansichten auseinandersetzen. Stattdessen sehe und höre
ich mich dort in symbolischer Verkleidung. Die
Verantwortlichen für solche 1:20-Berichte können sich
also sicher sein, ihre Zuschauer auf ihrem Niveau
befriedigt zu haben. Es ist also ein ausgetüfteltes
Feedback-System, dessen strategisches Geschick
intellektuell äußerst avanciert ist.
Wenn wir also das nächste Mal einen Psychologen sehen,
der uns erklärt, daß Streit genauso wichtig für
die Ehe ist wie Harmonie, einen Soziologen, der
feststellt, daß es heutzutage kein einheitliches
Wertesystem mehr gibt oder einen Politologen, der
uns darüber aufklärt, daß die FDP als Partei der
Mitte von unzufriedenen Wählern der großen Parteien
profitiert, dann sollten wir verständnisvoll
nicken und ihre Enttäuschung teilen, daß ein Redakteur
genau diesen Satz aus ihren halbstündigen Ausführungen
herausgefischt hat und sie jetzt als Idiot dastehen. Es
sei denn, es handelt sich um die sogenannten Profi-Experten,
die das Spiel der Null-Sätze von vornherein begriffen
haben und nur noch mit diesen Hülsen operieren. Die
werden dann, wie z. B. der Politologe Jürgen Falter,
immer wieder befragt, weil man sich sicher sein kann,
daß man nicht erst lange, inhaltsreiche Passagen
durchforsten muß, um eine Satzhülse zu finden, sondern
in einer Minute Material für sechs Berichte erhält. Zur
Belohnung werden sie dann auch zu Stammgästen in den
Diskussionssimulationen wie Christiansen oder Berlin
Mitte, bevor sie dann als dekorativer
Kleiderständer mit Sprachausgabe in den
Sendezeitdurchlauferhitzern anläßlich von Landtags-
oder sogar Bundestagswahlen enden. Die Profi-Experten
verdienen unser Mitgefühl nicht. Die sind genau das, was
sie sind. Nicht mehr und auch nicht weniger. Das geht ja
gar nicht.
© Mathias Mertens, 2002
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